Mercedes S350 L W221 – Teddy on Wheels

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Neulich hatte ich die Ehre, einen relativ aktuellen Mercedes der S-Klasse zu fahren. Ausnahmsweise handelte es sich hierbei nicht um eine Probefahrt, sondern um eine Fahrt in dem Mercedes S350 L von meinem Vater aus dem Jahre 2006.

Das Design der S-Klasse gefällt mir recht gut. Obwohl die Front einerseits sehr mächtig ist, strahlt sie einen andererseits mit dem unentwegt freundlichen Lächeln eines Teddybären an und lässt dabei den schlanken Vorgänger W220 als Ausreißer der Ahnenreihe erscheinen. Rein optisch ist der W221 der direkte Nachfolger des W140, der Mitte der 90er vor unserer Garage stand. Vor der Garage deswegen, weil der dicke Benz zwar nach einigen Umbaumaßnahmen hineinpasste, aber der erste Kotflügel sein Leben lassen musste als das schöne Auto gerade mal zwei Tage alt war.

Auch von der Seite ist die S-Klasse wunderschön: große Flächen, leichte Keilform, lange Haube, kurzes Heck. Viel Eleganz mit einer kleinen Prise Sport. Die Heckansicht hingegen finde ich weniger gelungen, weil die dicken Backen und der aufgesetzte Heckdeckel keinen wirklich harmonischen Abschluss bilden.

Das Interieur ist eher schlicht gehalten, der breite Übergang zwischen Tür und Armaturenbrett ist formal fast schon futuristisch zu bezeichnen. Im Vergleich zum aktuellen BMW 7er der Baureihe F01 herrscht optisch eine wohltuende Ruhe. Zwar gibt es auch im Benz zwei Bildschirme, allerdings wirken diese deutlich dezenter, sind allerdings auch ein wenig kleiner als im BMW. Die Grafiken sind schlichter gehalten, es gibt weniger 3D Effekte, die um Aufmerksamkeit haschen, auch die Farben sind weniger grell. Nicht zuletzt tragen auch die schmalen, in seidenmatt gehaltenen Wurzelholzleisten zur Ruhe bei – auch wenn ich persönlich glänzendes Holz deutlich lieber mag.

Angenehm ist auch, dass es nur relativ wenige Knöpfe und Schalter gibt. Alle Funktionen, die den Sitz betreffen, finden sich bei der Sitzverstellung an der Türtafel, inklusive Sitzheizung und –lüftung.

Ich finde auf Anhieb eine gute Sitzposition, das Raumgefühl ist trotz der schwarzen Vollederausstattung eher luftig als sportlich. Das einzige, das ich vermisse, ist die bei BMW übliche Verstellung des oberen Lehnendrittels.

Das Lenkrad ist ungewöhnlich dünn, ein krasser Gegensatz zu den bei BMW üblichen dicken Kränzen, die in der nächsten Generation sicher das Format einer Myrek-Leberwurst aufweisen.

Negativ fallen mir die viel zu kleinen Außenspiegel auf, auch wenn Sie optisch sozusagen als „Ohren“ wunderbar zum Teddygesicht der S-Klasse passen.

Der Wählhebel ist ein Stock am Lenkrad. Für den sportlichen Fahrer eher unerotisch, ist diese Lösung jedoch deutlich ergonomischer und intuitiver als merkwürdig phallisch geformte BMW-Knüppel. Manuell geschaltet werden kann auch, und zwar mit Tasten im Lenkrad, aber wer will das schon im großen Benz?

Genug der Rede, fahren wir los. Im Gegensatz zu meinem BMW V12 rollt der Mercedes nicht los, wenn man die Bremse loslässt, man muss dafür schon das Gaspedal treten.

Unter den wachsamen Augen meines alten Herrn dirigiere ich die S-Klasse von der Tankstelle in Gütersloh und fahre auf die A2 Richtung Heimat.

Der leise 3,5l V6 Motor passt nicht wirklich gut zur schweren S-Klasse. Mit nominell  272PS ist zwar theoretisch genügend Leistung vorhanden, 350 NM jedoch mögen einen leichten Porsche vehement nach vorne katapultieren, bei einer 2t schweren Luxuslimousine hingegen sorgen sie eher dafür, dass sich die Fuhre einfach in Bewegung setzt.

Der Motor hängt nicht wie gewohnt am Gas, es fühlt sich eher an wie Rührteig, es ist schwer abzuschätzen, wie das Auto reagiert.  Jede etwas tiefere Gaspedalbewegung wird sofort mit Zurückschalten quittiert. Bei eingeschaltetem Tempomat mit Abstandreglung Distronic fällt auf, dass die 7-Gang Automatik schon bei mittleren Steigungen zurückschaltet, genau wie beim Beschleunigen von 120 auf 160.

Bärenstark ist etwas anderes, der S500 wäre vermutlich die bessere Wahl, nicht wegen der 388 PS, sondern der 530 NM, die deutlich mehr Ruhe in die sonst so gelassene S-Klasse bringen würden.

Während mein Vater praktisch immer mit Tempomat unterwegs ist reagiert mir persönlich die Distronic zu hektisch und nicht vorrausschauend genug. Lasse ich den Wagen in meinem eigenen Rhythmus mit 120 bis 160 km/h rollen, bin ich nicht nur deutlich entspannter unterwegs, der Spritverbrauch sinkt dabei um rund 2l.

Das Fahrwerk der S-Klasse ist zwar komfortabel, kann aber mit der Federung des neuen 7ers nicht mithalten. Zwar kaschiert auch der Mercedes das hohe Gewicht, nicht jedoch die Länge, die der BMW F01 mit seiner Integral-Aktivlenkung auf gefühltes Golf-Niveau schrumpfen lässt.

Hohe Geschwindigkeiten konnte ich nicht testen, allerdings verleitet die S-Klasse auch nicht zum Rasen, sondern fördert eher das entspannte Cruisen auf der mittleren Spur. Ich ahne, dass man sich wie beim 7er bei Geschwindigkeiten jenseits der 200 km/h Marke nicht wirklich sicher fühlt. Es ist eben kein Maserati, der den perfekten Spagat zwischen Komfort und Sportlichkeit verkörpert wie kein anderer.

Die S-Klasse ist sehr gut gedämmt, man hört vom Motor nur ein säuseln,  leider jedoch gibt es diverse Klappergeräuche nervt, die vom Heck und vom Dachhimmel kommen.

Im Fond sitzt es sich übrigens auch fürstlich, die Sitze verfügen über einen breiten Verstellrahmen und es gibt jede Menge Fußraum. Es gibt sogar zwei Makeup Spiegel, die allerdings qualitativ ein großer Rückschritt gegenüber dem wie für die Ewigkeit konstruierten W140 darstellen.

In der Gesamtbetrachtung ist die S-Klasse der Teddy unter den Luxuslimousinen. Eher gemütlich als aggressiv verführt er zum Cruisen und vermittelt einem das mercedes-typische Gefühl, unterwegs und gleichzeitig zuhause zu sein. Eigentlich vermisse ich in dem rollenden Herrenzimmer nur noch die Designo-Sonderausstattung „Kamin“ für die Mittelkonsole, incl. Spezialfach für die Lagerung kleiner Brennscheite. Dann würde auch das Knistern aus dem Dachhimmel die Atmosphäre nicht weiter beeinträchtigen.

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