AKW Gundremmingen – Auf der Suche nach Sektor 7G und guten Donuts

Das AKW Gundremmi

Das AKW Gundremmingen

Atomkraft ist böse. Ich meine, richtig böse. So ähnlich wie Monty Burns. Das wissen insbesondere diejenigen von uns, die bei gutmenschlichen Eltern mit ökofaschistischen Tendenzen aufgewachsen sind und deren Atomkraft-Nein-Danke Vorurteile beim heimlichen Simpons-gucken bestätigt wurde – auch wenn Papa trotz aller Bemühungen beim Camping-Ausflug mit dem fetten SUV noch nie einen Drei-Kugel-Augen-Fisch aus der Donau gefischt hat.

Aber wer kann es ihm verübeln? Meine Generation hat sich über zig Simpsons-Folgen mit dem Thema Atomkraft auseinandergesetzt, während die Bildung unserer Eltern sich mehr oder minder auf den Hoppenstedtschen’ Spielkasten „Wir basteln uns ein Atomkraftwerk“ beschränkt. Mit diesem Bausatz wird ein kleines Atomkraftwerk mit Brennstäben, Gebäuden und Kühen aufgebaut. Hat man dabei einen klitzekleinen Fehler gemacht, macht es „bumm“! Gebäude und Kühe fallen tot um und der Reaktorkern ist wegen der Kernschmelze beim Nachbarn zwei Etagen tiefer gelandet.

Wenn etwas so richtig richtig böse ist, dann sollte man es sich vielleicht einmal ansehen. Zumindest so lange es noch geht, denn in wenigen Jahren ist Schluss, denn in wenigen Jahren wird das letzte AKW in Deutschland abgeschaltet, damit man auf dem Gelände einen Kindergärten eröffnen kann und strahlende Kevins, Jaquelines und Justins ihren Namen tanzen lernen.

Da ich mich schon wahnsinnig darüber geärgert hatte, dass ich das originale World Trade Center nicht besichtigen konnte, wollte ich zumindest bei den Atomkraftwerken meine Chance nutzen und schloss mich einer Truppe von Ingenieuren an, die das AKW Gundremmingen besichtigen wollten. Wegen der langen Anfahrt hatten wir Zimmer in einem Gasthof in der Nähe gebucht. An der Rezeption frage ich, ob sie denn ein Zimmer mit Blick aufs AKW hätten?

„Ein Zimmer mit Blick auf das AKW?“ fragte die Wirtin verdutzt zurück.

– „Nun, haben sie Zimmer mit Blick aufs Meer?“

„Nein“, so die Antwort.

„Also, dann eben mit Blick aufs AWK!“

Leider war keines mehr frei. Nun denn.

Am nächsten Morgen versuchten wir mit unserer Mannschaft von 8 Personen, das Gelände zu stürmen, scheiterten aber zunächst grandios, weil ein Zaun im Wege war. Ergo blieb uns nichts anderes übrig, als uns zunächst das Informationszentrum anzusteuern. Das Informationszentrum ist ein flaches Gebäude mit einer kleinen Ausstellung zum Thema Atomkraft und einem Seminarraum. Eine Zeitlang durften wir die Exponate bewundern. Ein Gruppenmitglied rechnete mit neidischem Blick vor, wie teuer die einzel angefertigten Erklärmodelle seien.

Nach einer Weile kam der Erklärbär der Atomlobby. Hätte vom Typ her Autoverkäufer sein können, nicht die schmierige Sorte vom Hinterhof, sondern ein Mensch, bei dem Mutti voller Vertrauen den nächsten Ford Galaxy bestellen würde.  Er lud uns in den Seminarraum ein, in dem diverse Getränke bereit standen.

Der Vortrag wiederholte größtenteils das Wissen, dass mir mein Physiklehrer über Atomkraft vermittelt hatte. Spannender war es, Fragen zu stellen, wie man das System stören könnte, nach dem Motto: „Was passiert, wenn wir den Ausläufer der Donau, der für die Kühlung sorgt, in die Luft jagen?“ Oder: „Wenn man die Netzleitungen, die den Strom nach draußen führe, kappt, wird dann der Reaktor abgeschaltet?“

Frustrierenderweise hatte der Erklärbär auf alles eine Antwort: Mit einer Notabschaltung könne die Kettenreaktion innerhalb von wenigen Sekunden gestoppt werden und für die Aufrechterhaltung der Pumpen zur Nachkühlung habe man 6 16-Zylinder-Dieselgeneratoren zur Reserve, die nicht wie in Fuck-Uh-Shima im Keller befinden, sondern sich sinnvollerweise an einem höher gelegenen Ort befinden. Sollten auch diese ausfallen, gäbe es noch einen Akku, mit dem die Pumpen weitere 3 Stunden betrieben werden könnten, bis LKWs mit Reservegeneratoren einträfen. Am einfachsten jedoch sei es, einfach den Strom aus dem Netz für den Betrieb der Umlaufpumpe zu nutzen, für die es drei Reservepumpen gäbe. Redundanz ist das Gebot der Stunde, ein Jumbo-Jet mit seinen vier Hydrauliksystemen sei nichts dagegen.

Was uns der Herr elegant verschweigt ist die Tatsache, dass es 1977 in Block A zu einem Reaktorunfall kam: nach einem Kurzschluss der stromabführenden Hochspannungsleitungen kam es bei der entsprechenden Notabschaltung zu einer Fehlsteuerung, bei der zuviel Wasser in den Reaktor gepumpt wurde, so dass das Gebäude anschließend unter Wasser stand. Dieses Wasser wurde dann ‚kontrolliert‘ ins Freie geleitet. Herzlichen Glückwunsch, hatte ich diese Frage nicht nicht bei der Diskussion gestellt?

Aus Kostengründen wurde auf eine Wiederinbetriebnahme verzichtet, schließlich waren die Blöcke B und C schon im Bau. Einige Gebäude des alten Blocks werden heute für Arbeiten mit radioaktiven Elementen genutzt, das Reaktorgebäude selber allerdings nicht.

Genug der Diskussion. Wir wollen schließlich das AKW sehen, Infograficken kennen wir zur genüge. Im Gänsemarsch laufen wir ins benachbarte Gebäude. Dort bekommen wir einen Besucherausweis und werden vom Wachschutz gründlichst untersucht – die Jungs sind fast so auf trab wie die Mädelz von der Security von El-Al.  Bei der Lufthansa herrschen im direkten Vergleich fast schon italienische Verhältnisse.

Wir werden durch einen langen Gang geführt, an dessen Ende wir uns vor Reaktorblock C befinden. Ein bisschen unruhig werde ich schon, auch wenn mir mein Physiklehrer immer wieder versichert hatte, dass er keinerlei Bedenken hätte, in unmittelbarer Nähe eines AKWs zu wohnen.

Bevor wir den Sicherheitsbereich betreten dürfen müssen wir uns umziehen. In einer speziellen Zimmer können wir unsere Sachen ablegen und in die blauen Besucheroveralls schlüpfen, die in verschiedenen Größen bereit hängen. Dazu gibt es gelbe Sicherheitsschuhe, weiße Handschuhe und einen Schutzhelm mit anmontieren Ohrenschützern.

Der Umkleidebereich ist riesig, überall laufen Männer in gelber Unterwäsche herum.

An der nächsten Station werden wir mit Technik ausgestattet: jeder bekommt einen Ohrhörer mit Empfänger und ein kleines Gerät zur Messung der Strahlenbelastung. Es wird in der linken Brusttasche aufbewahrt, so dass das Display zu erkennen ist.

In einer Schleuse müssen wir uns zunächst mit dem Besucherausweis registrieren, ein Paar blauer Überschuhe anziehen, über eine niedrige Barriere springen, die den normalen Bereich vom Sicherheitsbereich trennt.

Hier ist orange definitiv the new black:  die Arbeiter schlurfen entspannt in orangefarbenen Overalls herum. Frauen sind keine zu sehen, weswegen wir uns das dämliche ‚Innen‘ sparen können. Essen und Trinken ist in diesem Bereich streng verboten. Schade, ich hatte mich so auf einen Atom-Doughnut der Marke „Homer Simpson“ gefreut. Ein Klo gibt es hier übrigens auch nicht, wenn jemand ein dringendes Bedürfnis haben sollte müsste er wohl ins Abklingbecken pinkeln.

Wir laufen an einem Labyrinth von verschlungenen Rohrleitungen vorbei. Überall sind Anzeigen und Ventile, hier und da stehen Pumpen herum. Wer mag hier wohl noch den Überblick haben? Hat irgendjemand eine Ahnung, was genau passiert, wenn man dieses oder jenes Rädchen bewegt?

Ich verstehe, warum wir einen Helm brauchen: stellenweise sind die Durchgänge so niedrig, dass man sich den Kopf stoßen könnte. Alles ist sehr sauber. Von der radioaktiven glibbrigen grünen Masse, die in Monty Burns’ Atomkraftwerk aus allen Rohren tropft, ist hier nichts zu sehen. Es gibt auch keine Typen in Schutzanzügen, die mit radioaktivem Abfall Atom-Schach spielen. Eigentlich sind gar keine Menschen zu sehen, nur gelegentlich sehen wir einen orangefarbenen Schlumpf herumschleichen – bis auf die Farbe des Overalls ist er genauso gekleidet wie wir.

Ich blicke auf mein Strahlenmessgerät: es steht immer noch bei 0,000. Es geht treppauf, treppab, hier ein Fahrstuhl, da ein Gang. Es ist ein Brummen zu hören, es wird Zeit, die Ohrenschützer aufzusetzen. Nur noch eine Stahltür, dann stehen wir inmitten der tropischen Hitze des Maschinenraums. Besonders groß ist die Halle sie erinnert an die große Turnhalle eines Gymnasiums, nur eben ohne Basketballkörbe.

Es gibt verschiedene Etagen, die nicht mit der Stockwerknummer, sondern mit der Höhe über Grund bezeichnet werden. Diese reicht zwischen 7,5m und geht bis zu 17,5m.

Die Turbinen befinden sich in der Mitte des Raumes, sowohl aus horizontaler als auch als vertikaler Sicht. Wir kommen quasi von hinten, also aus Richtung Reaktorblock, und gehen zunächst einmal an dicken gelben Betonmauern entlang. Hinter diesen Mauern befindet sich eine Hochdruckturbine, die mit 280° heißem Wasserdampf und einem Druck von 70bar angetrieben wird. Dieser Wasserdampf ist radioaktiv, allerdings nur für ziemlich genau 7 Sekunden, danach ist die Strahlung zerfallen.

Wir gehen um die Wand herum und sehen hinter die Mauer: hier liegt eine runder Kessel, der ein bisschen so ausschaut, als hätte man eine rote Dampflok ohne Führerstand mitten in der Halle geparkt und auf mittlerer eine Betondecke hinzugefügt, damit um den Kessel herumgehen kann.

In diesem Kessel befinden sich zwei weitere Turbinen, die den nun etwas schwächeren Wasserdampf in Bewegungsenergie umsetzen. Hinter den Turbinen befindet sich ein weiterer deutlich kleinerer Kessel, in welchem den Generator es sich gemütlich gemacht hat. Er rotiert tagaus tagein mit 1.500 U/min und erzeugt dabei gut 1.300 Megawatt –  genug Energie, um ein Viertel von  Bayern mit Strom zu versorgen, solange nicht gerade ein Fußballspiel in der Allianz Arena läuft (dafür bräuchte man dann ein weiteres Kraftwerk). Wenn man auf die Platten neben dem Generator tritt, kann man die 1.500 Umdrehungen spüren. Dies fühlt sich so ähnlich an, als würde man auf einer Waschmaschine im Schleudergang stehen.

Eine Zeitlang streifen wir unter Aufsicht unserer Erklärschlümpfe durch das Gebäude, bekommen diese und jene Pumpe gezeigt und erfreuen uns an der tropischen Wärme, die an einem kalten Wintertag ein besonderer Genuss ist. Während die Pumpen für mich alle gleich aussehen finde ich den riesigen Kran viel interessanter: er ist so stark, dass er die 200 Tonnen schwere Turbine tragen kann! Ansonsten bewegt sich wirklich nicht viel, außer uns ist kaum ein Mensch zu sehen. Das Kraftwerk ist eine Maschine, die mehr oder minder automatisch läuft, Strom produziert und dabei Geld verdient. So etwas hätte ich auch gern im Keller, nur das mit dem Atom wäre vielleicht ein wenig heikel.

Nachdem wir tausende von Pumpen und Generatoren ausführlich besichtigt haben, dürfen wir ins Allerheiligste: den Reaktorblock. Wir stehen vor einer Stahltür, gegen die ein Banktresor einfach nur niedlich ist. Da ich zufällig direkt neben der Tür stehe darf ich auf den roten Knopf drücken: Schwupps öffnet sich die Tonnenschwere Stahltür und macht den Weg zur Schleuse frei. Wir alle müssen unseren Besucherausweis in ein Gerät legen, damit das System weiß, wie viele Schlümpfe sich in dem Gebäude aufhalten und potentiell Unfug anrichten könnten.

Erst danach öffnet sich ein weiteres Stahlportal. Wir gehen hindurch und stehen mitten im Reaktorgebäude. Hier ist es ruhig, bis auf ein leises Summen ist kaum ein Geräusch zu vernehmen. Wir stehen in einem Gang, vor uns ist die gelbe Betonwand des runden Sicherheitsbehälters, der den Reaktorkern enthält. Kaum zu glauben, dass sich wenige Meter von uns entfernt eine atomare Hölle abspielt. Auch hier gibt es keinen Sektor 7G und auch keinen Homer Simpson. Hier passiert rein gar nichts, es ist eigentlich stinklangweilig. Mit einem Fahrstuhl fahren wir auf das Level 42,5m hinauf und stehen in der obersten Etage dieser großen runden Halle. Gäbe es nicht den  überdimensionalen Kran, so könnte man fast denken, man stände in einem Schwimmbad. in einem tiefen Becken mit blauem Wasser werden Brennelemente gelagert. Theoretisch könnte man darin sogar gefahrlos schwimmen, weil das Wasser die Strahlung recht gut abschirmt. Nur von Tauchgängen sollte man lieber Abstand nehmen…

Werden Brennelement gewechselt, so wird hierfür der gesamte Sicherheitsbehälter unter uns geflutet und der Boden abgenommen, auf dem wir gerade herumlaufen. im nächsten Schritt kommt ein spezieller Aufsatz zum Einsatz, der ausschaut wie ein Adventskranz, an dem statt Kerzen dutzende gelber Akkuschrauber befestigt sind. Mit diesem Aufsatz lässt sich der Deckel des Reaktor-Druckbehälters mehr oder minder automatisch öffnen.

Mit dem Kran werden die Elemente von einem Becken ins nächste bewegt. Auch hier kommt nur der Kran zum Einsatz, niemand muss hier einen Tauchgang machen oder in schwerer Schutzkleidung irgendwelche Brennstäbe durch die Gegen karren.

Werden gerade keine Brennelemente gewechselt, was sowieso nur einmal im Jahr vorkommt, denn die Dinger brennen üblich fünf bis acht Jahre lang, ist es eigentlich stinklangweilig. Mein Elektronenmessgerät zeigt inzwischen die 0,007 an – dies entspricht mehr oder minder der natürlichen Strahlenbelastung. Hier im Gebäude ist die Belastung eher geringer, weil die natürliche Strahlung aus dem Weltall von den dicken Betonmauern abgeschirmt wird.

Zum Schluss besichtigen wir noch die Station, in der die Castor-Behälter beladen werden (natürlich ebenfalls per Kran), dann schlumpfen wir zurück in die Umkleide. In einer Schleuse wird unsere Strahlung gemessen. Dazu muss man sich in ein automatisches Gerät stellen und Arme und Beine ausstrecken. Das System misste ein wenig, und dann sagt eine Frauenstimme Sätze wie „Keine Kontamination“ – sie erinnert spontan an das System in „Dr. No“, dem ersten James Bond Film.

Nun müssen wir die Messgeräte abgeben, unsere Überschuhe abstreifen, eine Barriere überwinden und uns einer weiteren Kontaminationsuntersuchung stellen. Einige Minuten später befinden wir uns im Informationszentrum. Donuts bekommen wir keine, dafür aber Kugelschreiber und Flaschenöffner mit AKW Logo und werden von dem Erklärbären verabschiedet.

Fazit: so wie der Erklärbär die Sache erklärt scheint Atomkraft ein No-Brainer zu sein: saubere Energie, dank Möglichkeiten der Aufbereitung bis in die Ewigkeit. Und sicher. Except if it don’t, because sometimes, it won’t. Unfälle, die u.a. zur Stilllegung des Reaktorblocks A führten,  werden geflissentlich unter den Teppich gekehrt, stattdessen wird das in diesem Block ansässige Technologiezentrum glorifiziert. Diese Vorgehensweise erinnert an das Mercedes Museum, in dem die Nazi-Vergangenheit der Firma ebenfalls keine Rolle spielt und der ausgestellte Mercedes 770 -immerhin der bevorzugte Dienstwagen des Führers und seiner Genossen – selbstverständlich von einem ausländischen Diplomaten gefahren wurde.

Wie ich später lese sind es eben doch die Banalitäten, die später den GAU ausmachen. Hier ein defektes Rohr, da ein nicht ganz richtig funktionierendes Ventil, eine falsche Steuerung, eine ignorierte Warnlampe, oder vielleicht einfach ein Kurzschluss, der zu einem Kabelbrand führt.

Im großen und ganzen fühlte sich die Führung doch sehr wie eine Werbeveranstaltung der Atom-Lobby an. Selbstkritik ist ein Fremdwort, stattdessen wird eifrig gegen die alternativen Energien gewettert. Ich glaube, das wesentliche Problem der Atomkraft ist das Gleiche wie beim Kommunismus: es könnte alles so schön sein, wenn die Natur des Menschen nicht ins Spiel käme. Dieser ist dumm, faul und gierig und kann dadurch auch die durchdachtesten Sicherheitssysteme ad absurdum führen. Wirklich sicher wäre nur ein System, zu dem der Mensch keinerlei Zugang hätte. Da dies nicht der Fall ist und Strahlung einen sehr langen Zeitraum überdauert und wir nicht wissen, wie dämlich sich zukünftige Generationen verhalten werden – Stichwort ‚Idiocracy‘ – ist es vielleicht nicht ganz verkehrt, die Dinger abzuschalten und andere Energieträger zu suchen.

Kommentar verfassen